Der Geschichtenerzähler

Vom Karikaturisten zum Geschichtenerzähler ist es nur ein kleiner, wenn auch gefährlicher Schritt. Wer das Abartige in den Blick nimmt, läuft Gefahr, das Liebenswerte aus den Augen zu verlieren.

Aus einer Sammlung von Notizzetteln sind ein paar kurze Schilderungen entstanden, die allenthalten Anleihen bei der amerikanischen Literaturgeschichte oder beim Film machen. Hier zwei Beispiele:

 

HOLTERDIEPOLTER: NEUES AUS DER HERINGSGASSE

Ihr könnt mich einfach Zack nennen, Vorname Pál. Ja, sicher, ich weiß, Liebhabern amerikanischer Walfängerromane wird dieser Beginn wie ein Plagiat vorkommen. Aber an Plagiate hat man sich hierzulande seit Karl Theodor zu Guttenberg, Silvana Koch-Mehrin, Margarita Mathiopoulos und Jorge Chatzimarkakis doch längst gewöhnt. Oder etwa nicht? Ich versichere Euch, nein, ich gebe Euch mein Ehrenwort, dass ich kein Lügner und auch kein Mitglied der Fachgruppe „Textbausteine Erben“ bin.

Sagte hier etwa jemand Barschel? Oder Engholm?

Den Pál muss ich trotzdem wohl erklären. Also, meine Familie stammt ursprünglich aus dem korrpohtischän Bäckän, wie mein Großvater immer sagte, aus Ungarn. Und mein Vater war ein Liebhaber französischer Romane aus dem 19. Jahrhundert: Eugénie Grandet, Le père Goriot, La Cousine Bette und die ganze comédie humaine. Den Rest müsst Ihr Euch selber zusammenreimen. Fakt aber ist: Ich habe, wie man so sagt, einen Migrationshintergrund.

Das macht empfindsam.

Und sagte ich vorhin Katzi Markakis? Man verzeihe mir den Kalauer, aber der führt mich direkt zu meinem Thema. Es geht hier nämlich um ein paar Katzen aus der unmittelbaren Nachbarschaft. Die Vierbeiner, drei an der Zahl – Mieze Press, Mieze Bischi und Ozzy de Muenckhouse – haben auch alle einen Migrationshintergrund. Sie sind Ex-Pets sozusagen. Mieze Press stammt aus Amerika, Mieze Bischi aus Japan und AristoCat Ozzy de Muenckhouse, der die beiden gelegentlich besuchen kommt, ist von Haus aus Australier. Die drei haben Kost und Logis in der Heringsgasse am südlichen Ende des Villenviertels gefunden.

Die Heringsgasse also. Keiner weiß, wie sie zu dem etwas anrüchigen Namen gekommen ist. Zu beiden Seiten überwölben große, kräftige Bäume die Heringsgasse und beschatten im Sommer die mächtigen Gründerzeitvillen, in deren Gärten munter sprudelnde Plätscherbrünnchen der Marken Alhambra Plus und Alhambra Kaskade erfrischende Kühle oder auch Inkontinenz verbreiten. Freilich, hinter wuchernden Vorgärten verborgen oder von dorni­gen Röschen gesäumt, lugt die eine oder andere Bausünde der Nachkriegszeit hervor: ein Bahnwärterhäuschen der Firma Märklin (Best. Nr. 1033K) oder Fleischmanns Stellwerk mit Einliegerwohnung. Der Putz bröckelt, am Zaun nagt der Rost, und der Vorgarten sieht aus wie die Serengeti, so als wäre sie doch gestorben. An strategisch bedeutsamen Stellen, am Fuße des edelhölzernen Mülleimergatters oder am Aufgang zur herrschaftlichen Freitreppe, werden freundlich grienende Gartenzwerge oder metallen schimmernde Häschen platziert. Niemand versäumt es auch, zu Ostern quietschbunte Plastikeier an die Sträucher zu hängen. Soviel Tradition muss sein.

Dort jedoch, wo die Gentrifizierung von der Heringsgasse Besitz ergriffen hat, werden in den Gärten und Hinterhöfen exklusive Ein-, maximal Zweikind superkalifragilistisch-expialligetische Spielplätze angelegt. Und natürlich versu­chen die Yuppies sich dabei gegenseitig zu übertrumpfen: höher, weiter, größer, bunter. Aber es gibt auch Konsens. Soweit sie Latein gehabt haben, betonen sie dieses Wort auf der zweiten Silbe, damit es nicht nach Nonsense klingt.

Die Grundausstattung ist überall dieselbe: Ein gezimmerter Bergfried, Modell Vogelsang, mit Fallreep und Hochseilbespannung für die kleinen Piraten zum Entern. In den meisten Fällen ist auch die Evakuierungsrutsche Fukushima I mit dem Bergfried verdübelt, beide festgemauert in der Erden. Die Schaukel Luise mit nachtblauem PVC-Hartschalensitz, doppelt geflochtenen Hanfseilen aus kontrolliertem Anbau und zwei feuerverzinkten Karabinerhaken für die einfache Montage à la Billy ist optional und wird gerne von Eltern genom­men, die sich ein Mädchen als Zweitkind leisten können. Der multifunktio­nale Sandkasten für Planspiele aller Art darf natürlich auch nicht fehlen. So­bald die Hot Pänz etwas älter werden, gesellt sich ein aufgeständerter Rundkäfig dazu, so eine Art Gummizelle, die Blessuren, sagt man, verunmöglichen soll. Wie die Springböcke hupfen sie, Lustschreie ausstoßend, darin herum und freuen sich des Lebens.

Die Fußballfans unter den zur Erziehung Berechtigten stellen Hindernisparcours aus rot-weißen Plastikhütchen auf, wie man sie auch zur Verkehrslenkung einsetzt. Unter den aufmunternden Rufen – Primaaa – Klassäää – Spitzäää – Dolll – von Mami, Papi, Oma und Opa   müssen die zukünftigen Bun­desligisten um die Verkehrshütchen herumlaufen und versuchen, das Runde in einem der beiden Löcher der Torwand zu versenken. Was nicht immer gelingt: Und Schuss! (der Opa); Patsch (die Wand um die Einschusslöcher herum); Daneben! (die Oma); Nachschuss! (der Papi).

Die meisten Kids bevorzugen deshalb die Basketballanlage Beautifool America mit genormtem Plastikgestänge, wassergefülltem Rollfuß und der Bande aus bunt lackierter Spanplatte. Bevor der Ball gegen die Platte geschleudert wird und im Erfolgsfall – Einfallswinkel ist gleich Ausfallswinkel – durch die Maschen des Korbes hindurch auf die Steinplatten darunter plumpst, wird er erst ein-, zweimal aufgetitscht, so dass jeder Wurf von einem tisch, titsch, plong, titsch, titsch, titsch begleitet wird.

An warmen Sommertagen werden in der Freilichtbühne Heringsgasse „Die Heiden von Kummerow“ gegeben. Da geht es dann richtig zünftig zu, um nicht zu sagen drunter und drüber. Farbenfrohe Plastiktümpel werden entrollt, gepumpt und geflutet. Dann bricht die Natur sich Bahn. Alle Plünnen runter und rein in die Bütt! Kinderlose Lauscher wollen von Doktorspielchen gehört haben. Die Neider berichten von Dialogfetzen: „Hast Du auch eine Vorhaut?“ Früher taten das bloß Schmuddelkinder. Die aufgeklärte Erziehungsberech­tigte von heute geht mit so was souverän um, Oswald Kolle sei’s gedankt. „Jungs haben einen Penis, Mädchen eine Scheide. Ansehen dürft Ihr das, an­fassen ist verboten.“ Recht so.

Damit wir uns nicht missverstehen, so ein Spielplatz ist, das kann man ja gar nicht oft genug sagen, für die körperliche und psychische Entwicklung unserer lieben Kleinen eine conditio sine qua non. Dort können sie ihre Muskeln so richtig spielen lassen, klettern und klimmen, tratschen und ratschen, plitschen und platschen, zerren und plärren, quieken und quaken, maulen und jaulen, bis ihnen die Puste ausgeht. Spielplätze sind, um einen Begriff aus der Computerwelt zu booten und unsere stilistische Verankerung in der Moderne zu demon­strieren, Open-Access-Plattformen, wo man interkulturelle Kompetenz – „Ich Omar, Du Zenzi?“ trainieren kann. Sie sind Bekenntnisse zu einer offenen und solidarischen Gesellschaft. Und deshalb werden sie auch von der klammen Kommune, ersatzweise von gemeinnützigen Stiftungen unterhalten und gepflegt. Der schönste Spielplatz im ganzen Villenviertel, das sei hier ausdrücklich vermerkt, geht auf eine Handvoll von Privatleuten zurück. Deren Verächter behaupten jedoch, die Mäzene wollten so bloß das von den Schickimickijunioren – die hängen meist kopfüber kopfunter in den Seilen – heraufbeschworene Tohuwabohu aus ihrer unmittelbaren Umgebung verbannen. Anmerkung 1: Das ist so usus im hortus conclusus. Anmerkung 2: Ich hätte mir das mit den Seilen verkniffen, wenn nicht die Sorge bestünde, man möchte mir den Vorwurf machen, ich hätte – Setzen! Fünf! – das Thema verfehlt. Wie immer dem sei, Open-Access-Spielplätze braucht das Land. In der Heringsgasse aber sieht man nur Private-Property-Anlagen, möglichst nahe an Nachbars Zaun. Böse Zungen sprechen deshalb bereits von der Entsolidarisierung unserer Gesellschaft.

Hier also leben unsere drei Ex-Pets, nicht frei von Gefahren jedoch. Denn in der Heringsgasse patroullieren auch Lumpi, Struppi, Blacky und Bruno, die dort tagaus tagein ihrem Business nachgehen und im Leerlauf den Mond anbellen oder den Kirchenglocken hinterherjaulen. Sind sie vergattert, vertrei­ben sie Artgenossen – ich übersetze hier einmal – mit hau, hau, hau, hau, hau, hau, hau, blöder alter Köter hau ab, Passanten begrüßen die Alpha-Fiffis mit Hier, hier, hier, dies ist mein Revier. Ausländer wie unsere Ex-Pets beispielsweise meiden die Heringsgasse deshalb oder klettern ganz fix auf die Alleebäume, wenn Gefahr droht.

Die größte Landplage weit und breit ist der Quatorze. Dieser Kümmerling ist, wie sein Frauchen nicht müde wird zu betonen, ein direkter Abkömmling der Hundenotten, ein Alphatier also. Ludwig XIV, sagt sie, habe 1685 das Delikt von Nantes gecancelled und alle Hundenotten vertrieben. Die Leute in der Heringsgasse wünschen sich nun nichts sehnlicher als einen Wiedergänger des Roi Soleil, um den meschuggen Hund wieder loszuwerden.

Wegen der vielen Köttbullars auf dem Trottoir hatte einer der Anwohner ein­mal ein Plakat mit Reißnägeln an einem der Bäume befestigt. „Lieber Hund“, stand da zu lesen, „mach den Dreck vor Deiner Tür, Frau- und Herrchen danken’s Dir! Du kannst doch lesen, oder?“ Am nächsten Tag hatte ein Naturschützer aus Protest gegen den Baumfrevel etwas oberhalb ein weiteres Plakat angepinnt. Auf dem stand: „Quäle nie den Baum im Scherz, denn er fühlt wie Du den Schmerz.“ Der Baumschützer obsiegte.

Mieze Press ist die älteste der drei Stubentiger aus der Heringsgasse, die Platzkatz sozusagen. Ursprünglich war sie als first cat in einem amerikanischen Diplomatenhaushalt tätig gewesen. Die Leute aus dem Nachbarhaus, „Planten un Blomen“, hatten sich ihrer erbarmt, als die Amerikaner plötzlich Marschbefehl erhalten hatten und Land und Mieze verlassen mussten. Planten un Blomen beherbergt seit dieser Zeit den Kratzbaum, das Schlafkörbchen und den Fressnapf der MP, wie Mieze Press wegen ihrer flinken Zunge von den anderen Tieren auch genannt wird.

Mit Mieze Bischi hatte MP sich zunächst überhaupt nicht anfreunden können. Die Japanerin war als Schiffskatze nach Deutschland gekommen, nachdem ihr Brötchengeber (das Bild ist schräg, ich weiß), ein Automobilhersteller, wegen zahlloser Rückrufaktionen in finanzielle Schwierigkeiten geraten war. Auswanderungsagenten mit moderaten Englischkenntnissen hatten ihr etwas von einer Schinkenburg an der Elbe erzählt, und diesem Lockruf hatte sie einfach nicht widerstehen können. Nach langer Wanderschaft hatte die Jap Cat schräg gegenüber von Planten un Blomen, Quartier gemacht.

Die Erstbegegnung der beiden war eine mittlere Katastrophe gewesen. „Ni hao“, hatte Mieze Bischi gegrüßt. Die MP darauf: „Sagtest Du Miau? Dein Deutsch klingt so komisch.“ Mieze Bischi: „Ni hao“ ist Chinesisch und heißt so viel wie „Hallo“.

„Du kommst aus China?“

„Nein, aus Japan.“

„Warum laberst Du dann Chinesisch?“

„Ich dachte, das würde einer Amerikanerin wie Dir imponieren. Chinesisch ist im Kommen.“

„Ach Du grüne Neune“, sagte die MP darauf. „Das fängt ja gut an. Komm näher, damit wir plaudern können.“

Gesagt, getan. Die beiden Mäusejäger hatten dann aber erstaunlich schnell zueinander gefunden. Man traf sich des abends und tauschte Erfahrungen über die Vor-, respektive die Nachteile von kitekat, Sheba, Felix oder Whiskas aus oder zerriss sich das Maul über die Dorfköter – „den Dings habense kastriert, der lässt seine Wut jetzt an uns Katzen aus“. Des nachts zog es die beiden auf den Cat Walk. Dort liefen sie rauf und wieder runter, und nach Ende des Defilees brachten sie den Heringsgassenbewohnern so manches Ständchen. Die ließen zwar mehr als einen Eimer Wasser auf das Gesangsduo herunterregnen, aber der Katzenmusik war einfach nicht beizukommen. Sie gesellte sich schließlich ganz zwanglos zum Hundegekläff am Zaun, zu den endlosen Telefonaten der Zweibeiner in den Gärten und dem Gequieke der alleinerziehen­den Kids beim Spiel.

Bevorzugter Meeting Point für Mieze Press und Mieze Bischi waren sommers die sonnenwarmen Steine im Hof von Planten un Blomen. Dort saßen sie stundenlang zusammen, klönten, schnurrten, putzten die Barthaare oder leckten die Pfötchen. Im Winter oder bei Regen krochen sie unter die Mülltonnengarage oder den Carport der „Kaserne“, das ist die Scheibe zur Rechten von Planten und Blomen.

Okay, okay, die Neugier, was es mit Planten un Blomen oder der Kaserne auf sich hat, versteh ich ja. Aber das müssen wir vorläufig mal hintanstellen. Jetzt wollen wir erst einmal diese Geschichte hier vorantreiben.

Wir waren dabei stehen geblieben, wie sich das Katzenduo gefunden und in die Geräuschkulisse der Heringsgasse ganz zwanglos integriert hatte. Diese Art der Zweisamkeit war für die beiden Miezen so sehr Routine geworden, dass die Jap Cat heftig erschrak, als die Press Cat eines Tages in Begleitung eines stattlichen Katers erschien. Mieze Bischi war zwar Einiges gewöhnt. In ihrer Heimat Japan stehen die Sumos hoch im Kurs. Aber was da an geballter Kraft lässig schlendernd auf sie zukam, verschlug ihr doch die Sprache. Sie hörte, wie Mieze Press sagte: „Liebe Nachbarin, ich darf Dir meinen Vetter aus Down Under vorstellen.“

Mieze Bischi reagierte nicht.

„Ozzy, das ist meine Freundin Bischi“, flötete die Platzkatz weiter. „Mach mal den Diener.“

Die Aristocat deutete daraufhin einen Kratzfuß an. Die Jap Cat reagierte immer noch nicht.

„Ozzy de Muenckhouse, altes Räubergeschlecht“, ergänzte die MP und fuhr fort, weil Mieze Bischi immer noch mit offenem Mund dastand: „Ozzy kommt aus Australien. Seine Familie hat damals an einem Free Miles-Programm der englischen Könige teilgenommen.“

„Wie macht Ihr das bloß?“, entfuhr es Mieze Bischi, die sich von dem Schreck erholt zu haben schien und Ozzys Kratzfuß als Hinweis deutete, dass die Hon­neurs vorbei und nunmehr Konversation gemacht werden könne.

„Wie machen wir was bloß?“, fragte der Kater verdutzt.

„Na, Ihr müsst da unten doch kopfüber in der Luft hängen, eigentlich sogar runterfallen.“

„Ach, das. Das werde ich immer wieder gefragt, wenn ich Euch Euromiezen besuchen komme“, erwiderte Ozzy. „Ist aber ganz einfach. Australien ist stark erzhaltig. Wenn wir aus dem Haus gehen, ziehen wir Schühchen mit Magnetsohlen an. Das hilft.“

„Wie war doch gleich der Name nochmal?“, fragte Mieze Bischi ungläubig. „Ozzy de Muenckhouse?“

„Ozzy de Muenckhouse, habe die Ehre“, sagte der Kater.

„Ihr seid mir vielleicht schräge Vögel“, prustete Mieze Bischi.

Hier entstand nun eine Kunstpause. Ozzy, nicht unempfänglich für zwischen­menschliche, pardon, zwischenfelinische Spannungen, meinte nun, zumindest das Bild zurechtrücken zu sollen.

„Was heißt hier Vögel?“, begehrte Ozzy auf. Sowas ging ihm gegen die Mannes-, genauer die Katerehre. Deshalb holte er auch sofort zum Gegenschlag aus. „Geschwätz“, sagte er. „Wenn es bei uns in Australien schräg zugeht, dann geht’s bei Euch holterdiepolter zu.“

Die beiden Euromiezen waren empört. „Hört, hört“, sagte die eine. „Zum Exempel?“, die andere.

Ozzy ließ sich nicht lange bitten. „Zum Exempel“, griff Ozzy den Ausdruck des Zweifelns auf. „Gestern traf ich einen, der mir was von einem Miezhaus am Ende der Heringsgasse vorschwärmte, mehrere Parteien, alles gutbürgerlich, müsse man unbedingt gesehen haben. Als ich hinkam, war von den Miezen weit und breit nichts zu sehen. Das ist es, was ich schräg nenne.“

„Ozzy, Ozzy“, sagte Mieze Press da, die einen schnellen Blick auf die Ortho­graphie geworfen hatte (Whiz cats können das natürlich). „Sowas nennt man homophon, klingt gleich, ist aber verschieden.“

„Sprachwissenschaftlerin, ja?“, blökte Ozzy, der das den Schafen im Outback abgelauscht hatte. „Psychiater müsste man sein, um die vielen Irren hier zu therapieren.“

„Irre?“, Mieze Press und Mieze Bischi schauten sich fragend an.

„Irre!“, bekräftigte Ozzy seine Ansicht vom Geisteszustand zumindest eines Teils der Heringsgässler. „Hier läuft einer rum, klein, untersetzt, aber immer gut gekleidet, der sich jedes Mal vorstellt, wenn er einem begegnet. Er lupft den Hut, deutet eine Verbeugung an und sagt dann laut und vernehmlich ‚Scott’. Ist wohl zugewandert von der Insel.“

„Auch diese Runde geht an uns“, frohlockte da die Press Cat. „Ich kenn den Mann. Das ist ein Pensionär aus Bayern. Die Bayern sagen ‚Grüß Gott’, wenn sie jemandem begegnen. Ihr Grüß ist kontrahiert und Du hörst bloß den stimmlosen Konsonanten s am Ende.“

„Kontrahiert, stimmlose Konsonanten“, murmelte Ozzy vor sich hin. Er war konsterniert. Dennoch raffte er sich auf: „Was Dich nicht tötet, das macht Dich stark“, sagte er sich.

„Und was ist mit der Ausländerfeindlichkeit? Eure Ausländerfeindlichkeit kann einem auf den Senkel gehen“, knurrte er.

„Ausländerfeindlichkeit? Wir zwei Ex-Pets sind hier gastfreundlichst aufgenommen und integriert worden“, beeilten sich die beiden Miezen zu kontern. „Indigene Katzen müssen hier Mäuse fangen, wir ernähren uns von Whiskas und kitekat.“

Ozzy hatte jetzt Probleme mit dem Indigenen, beschloss aber, auf gut Glück, einen weiteren Vorstoß.

„Und warum nennt Ihr dann die von der anderen Seite des Flusses Schäl Sikh? Die Sikhs waren, die Sikhs sind tapfere Soldaten in der Armee ihrer Majestät.“

Es war nun an Mieze Press und Mieze Bischi, ihre Unkenntnis militärtaktischer Finessen zu verbergen. Gar nicht um kümmern, einfach ignorieren!

„Du hast schon wieder verloren“, sagte die Press Cat triumphierend. „Schäl Sick schreibt sich mit Zecka, nicht Kaha.“

Ozzy staunte.

„Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“, seufzte er.

„Es bedeutet schräge Seite“, sekundierte Mieze Bischi jetzt der Freundin.

„Die sind verwundbar“, sagte Ozzy zu sich. „Auch bei denen gibt es schräge Sachen.“ Und so zog er seine schärfste Waffe und holte zum finalen Schlag aus.

„Und wozu stehen überall in der Stadt so kirschrote Bänke?“, fragte er mit Unschuldsmiene. Merke: Will man Katzen aufs Glatteis führen, muss man mit List und Tücke vorgehen.

Die beiden Miezen sahen sich fragend an. Was hatte das wohl zu bedeuten?

„Zum Draufsitzen, wozu sonst“, zischte MP leicht NRWiert.

„Und warum werden Ausländer dann diskriminiert?“

„Wieso werden Ausländer diskriminiert?“, fragte Mieze Bischi verwundert zurück.

Ozzy de Muenckhouse ließ sich Zeit mit der Antwort. Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, schickte er ihnen mimische und Gebärdensignale voraus. Er legte seine Stirn in Falten und machte eine ausladende Bewegung mit beiden Vorderpfoten. Dann erst hörte man ihn sagen: „Habt Ihr etwa die Warnhinweise auf den Bänken nicht gelesen?“

„Welche Warnhinweise, Ozzy?“

Ozzy: „Auf jeder Bank steht in großen Lettern För üch do!

„Das ist keine Warnung, Ozzy. Das ist eine Einladung an alle Einheimischen: Diese Bank ist für Euch da!“

„Hatte ich also doch recht“, sagte Ozzy de Muenckhouse da.

 

 

 

VON DER MEHRKATZ UND DEM LEICHENGÄNGER

„Ich bin dem Loisl sein Kätzchen“, sagte die Neue, als sie wie zufällig eines Tages am Meeting Point in der Heringsgasse auftauchte. In Wirklichkeit hatte sie die Location tagelang ausgespäht, bevor sie sich auf den Weg machte, um die Mitgliedschaft im Club der fidelen Dachhasen zu beantragen. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, hatte sie sich gesagt. Und das aus gutem Grund, wie sich bald herausstellen sollte. Argwohn machte sich nämlich sofort breit in der Miezenkolonie. Läusl? Man begann, sich zu flöhen. Kommen Fremde ins Land, weiß man nie so genau, was einem bevorsteht.

Dem Loisl sein Kätzchen sah, um der Wahrheit die Ehre zu geben, einem Hängebauchschwein sehr viel ähnlicher als einer Felis silvestris catus. Mit ihrem Langhaarfell wischte sie bäuchlings den Boden auf und zog einem Swirltuch vergleichbar eine staubfeie Spur hinter sich her. Da staunte die Platzkatz, und Mieze Bischi seufzte: „Jetzt weiß ich endlich, wie eine Mehrkatz aussieht“. „Mehrkatz ist gut“, feixte der schriftsprachlich begabte Cem Kedimir. Er zählte selber nicht zu den Allerschlankesten. „Das passt“, stimmte Ozzy de Muenckhouse dem Kollegen aus Anatolien zu. Die anderen nickten. Mehrkatz. Der Name schlug ein. Wie sagt der Lateiner? Semper aliquid haeret.

Das Pummelchen stammte, wie sich herausstellte, ursprünglich aus dem Tierheim der Nachbargemeinde. Dort hatte man auf gesunde Ernährung geachtet und auch die Selbstversorgung mit lebensmüden Lemmingen trainiert. Schlank und rank war sie gewesen, als Luis Hoppediez, Großmaultasche aus Stuttgart, dort aufkreuzte, um sich einen Stubentiger anzulachen. Liebe, Liebe auf den ersten Blick war das gewesen. Dem Loisl sein Blondschopf und das Langhaar der Mehrkatz passten zueinander wie Topf und Deckel. Fortan teilten sie sich eine Mietwohnung in der Lyndonallee und die Beute aus Loisls Streifzügen, was, wie man unschwer an ihrer Ulla-Popken-Figur ablesen konnte, nicht ohne Folgen geblieben war. Kein Stress, alles ganz easy. Die beiden waren Müßiggänger, lagen tagsüber in einem der Fenster vom Schneewittchensarg in der Lyndonallee und guckten den Leuten zu, die unten vorbeigingen. Abends sahen sie fern, am liebsten Tom und Jerry oder amerikanische Stehgreifkomödien.

Die Mehrkatz begehrte also Einlass in den Club der fidelen Dachhasen. Davor aber hatte das Schicksal, besser die Katzenmischpoke, einen Stolperstein gesetzt. Alle Neulinge werden von den alteingesessenen Schnurris einer Zulassungsprüfung unterzogen. Man untersucht sie auf Herz und Nieren. Wäre ja auch schlimm, wenn man die Kontrolle darüber verlöre, wer in der Nachbarschaft an die Futternäpfchen darf und wer nicht. Die Platzkatz beruft deshalb jedes Mal eine Versammlung ein und führt auch den Vorsitz. Die Beisitzer bilden einen Kreis und machen ernste Mienen. Der Neuling wird hereingeführt und nimmt in der Mitte Platz, nachdem er Diener oder Knicks gemacht hat. Es geht altväterlich zu. „Hiermit eröffne ich die Sitzung“, sagt Mieze Press dann und putzt sich die Schnurrhaare. Das macht Eindruck. Nach einer Kunstpause übergibt sie an Cem Kedimir, der die Personalien feststellt und das Protokoll führt. Das hört sich dann so an:

„Das Wort hat unser anatolischer Freund“. Kedimir räuspert sich und schaut dem Loisl seinem Kätzchen erst auf den Bauch und dann in die Augen.

„Name?“, fragt er.

„Jawohl“, sagt die Mehrkatz.

„Wie Du heißt, will ich wissen“, knurrt Kedimir zurück.

„Aber das sagte ich schon“, mault die Langhaarige und fügt hinzu: „Der Loisl ruft mich Miezmiez.

„So,so, der Loisl ruft Dich Miezmiez. Und wer ist der Loisl?“

„Leichengänger, der Loisl ist Leichengänger.“

Murmel, Murmel auf der Beisitzerseite, und auch die Vorsitzende schaut verduzt drein.

Im Deutschen wimmelt es ja bekanntlich nur so von Gängern. Den Müßiggänger hatten wir schon. Und wer hätte noch nicht vom Blind-, vom Doppel- oder vom Kostgänger gehört? Vom Drauf-, vom Kirch- oder vom Rutengänger ganz zu schweigen. Aber was, bitteschön, ist ein Leichengänger? Kedimir nimmt deshalb kurz Blickkontakt zu der Vorsitzenden auf und sagt dann mit ernster Stimme:

„Vergackeiern können wir uns selber.“

„Ich will Euch ja gar nicht vergackeiern“, entgegnet die Mehrkatz. „Ich kann das erklären.“

„Darum möchte ich auch gebeten haben“, entgegnet Kedimir mit schneidender Stimme.

„Wenn Du mich nicht dauernd unterbrechen würdest, wären wir schon mitten drin in der Geschichte vom Leichengänger“, faucht Miezmiez zurück.

„Ich höre“, sagt der Schriftführer daraufhin.

„Das Wort hat die Mehrkatz“, unterbricht die Vorsitzende jetzt den Austausch von Freundlichkeiten. Mieze Press ist immer ein wenig ehrpusselig und mag es nicht, wenn das ihr vom Prozedere her zustehende Vorrecht, das Wort zu erteilen oder zu entziehen, von anderen gekapert wird. Zu Kedimir gewandt sagt sie:

„Miezmiez möge ihr Narrativ jetzt vortragen.“

Erneut hört man das bekannte Murmel Murmel auf der Beisitzerseite, und auch Kedimir weiß nicht so recht, ob er sich mehr über die Wortwahl oder den strengen Blick der Vorsitzenden wundern soll. Das „Narrativ“ vortragen. Miezmiez jedoch hat intuitiv erfasst, dass es sich dabei um ihr Stichwort handelt: Sie räuspert sich und tritt eine Pfote vor.

„Der Loisl“, sagt sie, kommt des Öfteren nach Hause und bringt einen Doggy Bag voller Köstlichkeiten mit: Forelle, Hering, Sprotte, Lachs, gelegentlich auch Aal und Thunfisch. Da geht einem das Herz auf, kann ich Euch sagen.“

Statt des sonst üblichen Murmel Murmel hört man jetzt, wie sich die Beisitzer wegen des Doggy Bags empören. So was gilt als unfein in Katzenkreisen, auch wenn einem dabei das Wasser im Mund zusammenläuft.

„Und?“, sagt die Vorsitzende.

Miezmiez macht eine Kunstpause, um die Spannung zu erhöhen. Dann fährt sie fort: “Nach dem Frühstück schlägt Hoppediez zuerst die Tageszeitung auf, um die Todesanzeigen zu studieren.“

„Die Todesanzeigen? Sucht der ne neue Wohnung?“ fragt man sich in Zughörerkreisen. Heutzutage muss man ja besonders schnell sein mit der Wohnungssuche. Noch bevor die neue Vermietungsanzeige Tage später erscheint, muss man im Trauerhaus vorsprechen und Interesse bekunden. Die Mehrkatz grient wie die Cheshire Cat aus Alice im Wunderland.

„Er sucht sich die passende Leiche aus“, sagt sie.

„Was will er denn damit?“, fällt ihr da einer der Beisitzer – ich glaube, es ist der Muskel-Kater – ins Wort, „unsereiner kümmert sich ja auch nicht um tote Mäuse. Man fängt die lieben kleinen Nager, man spielt ein bisschen mit ihnen und schluckt sie dann, wenn sie noch zappeln.“

„Verschon’ uns mit Deinen Heldentaten“, zürnt Miezmiez, und auch die Vorsitzende wirft ihm einen strengen Blick zu.

„Tschuldigung“, nuschelt der Muskel-Kater da.

„Miezmiez, bitte“, sagt die Vorsitzende.

„Danke, Frau Vorsitzende“, seufzt Miezmiez und wendet sich noch einmal dem Muskel-Kater zu: „Wenn Du erst mal Whiskas gerochen und Sushi geschlabbert hast, dann fasst Du keine Maus mehr an.“

„Sushi?“ Der Muskel-Kater schaut verdutzt in die Runde. Auch die anderen Schnurris scheinen noch nie etwas von Sushi gehört zu haben. Nur Mieze Bischi ist sofort im Bilde. Erinnerungen an vergangene, glorreiche Zeiten im fernen Japan steigen in ihr auf.

„Sushi“, barmt sie, sind mundgerechte Reishäppchen im Fischmantel. Einfach köstlich. Du packst den Fischmantel mit den Vorderzähnen und schüttelst den ollen Reis aus der Hülle. Schon hörst Du die Englein singen.“

„Stimmt“, pflichtet ihr die Mehrkatz bei, „in den Doggy Bags, die Hoppediez mitbringt, riecht es verteufelt gut nach Fisch. Alles hauchdünn geschnitten und mit Worcester Soße verfeinert.

„Das ist Soy Sauce“, wird sie von Mieze Bischi belehrt.

„Zur Sache jetzt“, mahnt die Vorsitzende. „Wie ist das mit der Leiche?“

Die Mehrkatz gibt sich einen Ruck. „Angefangen hat alles mit dem Spielfilm Wedding Crashers von David Dobkin. Der Hoppediez und ich haben den Film im Fernsehen auf deutsch gesehen. Für alle, die den Film nicht kennen,“ fährt sie fort, „die beiden Freunde John und Jeremy gehen uneingeladen zu großen Hochzeitsfeiern. Sie geben sich als weitläufige Verwandschaft aus und schlagen sich am Büffet die Bäuche voll, kleinere oder größere Flirts immer eingeschlossen. Dann verdrücken sie sich wieder. Ein toller Spaß. Luis Hoppediez ist jedoch anders als John und Jeremy. Er ist Einzelgänger. Immer dann, wenn in Lüngsdolf einer stirbt, und das passiert des Öfteren, schreitet er zur Tat. Er pickt sich die Anzeige mit ungewöhnlichen Traueradressen raus – Pusemuckel, Los Angeles, Sankt Petersburg und so. Je weiter weg desto besser. Dann putzt er sich und wirft sich in Schale. Das Haar wird sorgfältig gescheitelt und als Zopf gebunden. Die Trauerränder unter den Fingernägeln werden entfernt. Im kleinen Schwarzen eilt er dann zur Kirche.

Drinnen mustert er sorgfältig die Trauergäste in den vorderen Reihen. Witwen, alleinstehend und schon etwas klapprig, haben es ihm besonders angetan. Ganz zwanglos schließt er sich ihnen an und setzt sich neben sie auf die Kirchenbank. Luis singt auch sehr schön. Das macht Eindruck. Zu Hochform läuft er auf, wenn der Organist die Bachkantate vom Kreuzstab, den ich gerne tragen will intoniert. Beim Komm, o Tod-Choral beugt er sich vor und säuselt: ‚Ja, ja, Schlafes Bruder’, was dem Mütterchen neben ihm die Tränen in die Augen treibt. Werden Sarg oder Urne dann hinausgetragen, weicht er nicht mehr von der Seite seiner Nebenfrau. An den Stufen des Gotteshauses fasst er sie sanft am Arm und stützt sie, was in aller Regel dankbar registriert und mit einem Lächeln quittiert wird.“

„An den Stufen des Gotteshauses“, wird sie an dieser Stelle von der Vorsitzenden unterbrochen. „Du bist im Poesiemodus. Woher weißt Du das alles? Du warst doch gar nicht dabei.“ Zustimmendes Nicken auf allen Seiten.

Die Mehrkatz lässt sich erneut Zeit mit der Antwort. „Nein, war ich auch nicht“, sagt sie dann. „Aber ich hab’ mal ne arme Kirchenmaus gefangen. Die hat mir das erzählt, und ich hab’ sie dafür laufen lassen.“

„Lebensmittelverschwendung“, lässt sich der Muskel-Kater erneut aus dem Hintergrund vernehmen.

„Lass’ gut sein“, schilt ihn die Vorsitzende. „Wir wollen die Geschichte hören.“

„Wo war ich?“, fragt die Mehrkatz.

„An den Stufen des Gotteshauses.“

„Ah, ja. Danke. Der Loisl sagt dann: ‚Rat mal, wer ich bin. Kannst Du Dich noch an mich erinnern?’ Das Mütterchen, das so aussieht, als ob es Patient von Dr. Alzheimer wäre und auch den Sehtest in der Führerscheinprüfung nicht mehr bestehen würde, wundert sich. Aber das hat es des Öfteren schon im Leben getan. Und der Junge ist ja so nett. ‚Bist Du der Sohn von unserem Nepumuk, der damals zur See gefahren ist? Der Klaus? Ich bin die Tante Gerda.’ Das genügt. In Windeseile entwirft unser Klaus die Vita dessen, der in der Fremde sein Glück gemacht hat.“

Den Miezen vom Meeting Point dämmert es: „Der macht den Enkeltrick mit denen“, ruft Cem Kedimir. „Den Neffentrick“, korrigiert ihn Ozzy de Muenckhouse. „Pedant“, schilt ihn Mieze Press.

„Kann ich jetzt weitermachen?“, grummelt die Mehrkatz verärgert.

„Verzeihung“, sagt die Vorsitzende. „Du hast das Wort“.

Zufrieden blickt Miezmiez in die Runde. Dies ist ihr großer Auftritt.

„Wenn die zwei am Grab angekommen sind“, hier macht sie erneut eine Kunstpause, „kennt der Loislklaus auch die gesamte Familiengeschichte von A bis Z. Wer mit wem Krach hat, warum der eine enterbt und der andere sich vor Jahr und Tag auf Nimmerwiedersehen aus dem Staub gemacht hat. Witwentröster Loisl textet sein Opfer so voll, dass Tante Gerda wie selbstverständlich die Honneurs für ihn macht: ‚Das ist der Klaus’, stellt sie ihn der Truppe vor, ‚der Sohn von, na, Ihr wisst schon. Wir haben damals immer gesagt, wenn der bloß nicht so stur gewesen wäre. Aus dem hätte was werden können. Erinnerst Du Dich?’ Die von Tod und Trauer Geschockten erinnern sich: ‚Wir treffen uns zum Leichenschmaus im Hotel Lheinpfad’, flüstern sie ihm zu. ‚Man kann ja nicht die ganze Corona einladen.’ Der Loisl lässt sich das nicht zweimal sagen. Sobald er seine Tante Gerda ins Gespräch vertieft weiß, macht er sich auf die Socken.

Das Hotel Lheinpfad liegt, wie der Name schon sagt, direkt am Lhein circa 15 Gehminuten vom Gottesacker entfernt. Wir haben es mit einem rechten Sehnsuchtsort zu tun. So manch ein Tourist findet sich ein, um einmal im Leben das geschichtsträchtige Haus zu bestaunen. Ein inhabergeführter Laden ist das mit einer langen Tradition. Hier haben Politiker und hohe Militärs einst genächtigt. Der Biergarten wird deshalb von jenen Lüngsdolfern gerne frequentiert, die etwas auf sich halten. Das Management vom Lheinpfad legt seinerseits großen Wert auf gutbürgerliche Küche. Spezialität Leichenbegängnis. Das Mahl wird im großen Saal serviert, von wo aus man einen wunderbaren Blick auf den Lhein und das gegenüberliegende Ufer hat. Das Büffet steht, wenn man reinkommt, immer links. Je nach Preisstufe ist es gediegen, reichlich, üppig, sogar prächtig. Unser Hoppediez ist stets bemüht, einen Platz in der Nähe des Buffets oder am Ausgang zu ergattern. Fluchtwege müssen immer offen gehalten werden. Dann schlägt er sich den Pansen voll. Damit alles gut rutscht, macht er reichlich Gebrauch von den Getränken. Während die anderen noch an ihren Gläsern nippen und den Kanapees zusprechen, bereitet der Loisl seinen Abgang vor. Er steuert schnurstracks auf seine Gönnerin vom Gottesacker zu und säuselt: ‚Tante Gerda, ich muss mich jetzt auf den Weg machen. Mein Zug geht in einer halben Stunde. Neun Stunden auf der Bahn sind eine ziemliche Strapaze. Schade, dass ich nicht länger bleiben kann.’

Das Mütterchen versteht sofort. Der arme Junge! ‚Nimm Dir eine ordentliche Wegzehrung mit’, sagt sie. Dann zitiert sie den Oberkellner. Der bringt ein Doggy Bag. Den Rest könnt Ihr Euch denken.“

Im Kreis der Beisitzer ist Kopfnicken angesagt. Selbst Kedimir ist vom Narrativ der Mehrkatz beeindruckt. Er schaut zur Vorsitzenden Mieze Press herüber. Die ruft die Versammlung zur Ordnung: „Wir kommen nun zur Abstimmung. Wer der Meinung ist, dass Miezmiez in unseren Kreis aufgenommen werden soll, der hebt die rechte Pfote!“

Ein Blick in die Runde, dann sagt sie: „Einstimmig!“

Kedimir ist der erste, der zur Mehrkatz geht, um sie zu beglückwünschen. „Gut Freund, Miezmiez“, sagt er, „dies könnte der Beginn einer großen Freundschaft sein. Kann ich Dich mal besuchen?“